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Der verrückte Papierkorb

Der Papierkorb steht nicht mehr in der linken, sondern in der rechten Ecke des Zimmers. Tagelang laufe ich in die falsche Richtung, die Gewohnheit jahrelang einprogrammiert. Morgen werde ich auch die Möbel verrücken, mir mit der Kleiderbürste die Zähne putzen, dich statt auf den Mund in die Kniekehle küssen, mit dem Auto rückwärts zur Arbeit fahren, von rechts nach links alle Wörter von hinten schreiben. Um nicht zu vergessen, wie die Zeit dahintickt, wie Eis zwischen den Fingern schmilzt, der schwache Hauch im schwarzen Universum. Vergeudet, verschmäht, vergessen in sinnlosen Wiederholungen. Supermarkt, Fernsehen, Smartphone, Wiederholungen von Situationen, Worten, Gedanken, Kleinigkeiten. Als ob man unendlich viel Zeit hätte, als ob es kein morgen und kein gestern gäbe. Als ob wir wie Einstein die Ewigkeit verstanden hätten. Als ob wir für alle Zukunft in den Geschichtsbüchern stehen würden. So klammern wir uns an die vergänglichen Dinge.

Doch der Plastikpapierkorb wird mich um Generationen überleben. Der Tisch, auf dem ich dies schreibe, hat schon die Hochzeit meiner Oma erlebt, und die riesigen Birken draußen rauschen ihre verführerische Melodie schon Jahrzehnte. Ebbe und Flut, doch es ist nicht dasselbe Wasser. Seine salzige Kühle schwappt mir im Traum über den von der Sonne und den vielen Alltagsgedanken erhitzten Schädel. Ich muss ganz tief durchatmen, um zu spüren, dass die rot pochende Batterie im schützenden Brustkorb abenteuerlustig und durchaus rhythmisch beruhigend ihre Arbeit verrichtet. Der Körper, der mir zugeteilt wurde, funktioniert trotz nicht gerade sorgsamster Pflege nach über einem halben Jahrhundert immer noch besser als das Wunderwerk Auto nach fünfzehn Jahren.

Wie schön es war, die vergänglichen Umarmungen der Menschen zu spüren, ihre warmen Lippen aus Anlass eines Geburtstags. Wenn nur die Worte nicht wären! Sie überdauern alles im Strom der Zeiten, ein Mahnmal der dahingeplapperten Wiederholungen. Der verrückte Papierkorb schlägt unsichtbare Schlachten in meinem Hirn. Warum wächst er nicht draußen am Fliederstrauch und warum steht der betörend duftende nicht stattdessen in meiner Wohnung? Einen Moment lang hatte ich den Eindruck, der Halbmond am bleischweren Himmel würde von rechts nach links wandern. So wie Wörter von hinten geschrieben werden oder Auto rückwärts zur Arbeit fahren…..

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