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Die Reise

Er ging über die Wiese mit langen bedächtigen Schritten. Von allen Seiten schienen ihn große Wattebäusche zu berühren, weich und nachgiebig, und man konnte durch sie hindurchsehen. Leise klagende Musik hing in der Luft und jeder einzelne Klang drang ihm tief in die Knochen. Jedes Anschwellen oder Abebben der Klänge trieb ihm einen Schauer über den Rücken, der ihm jedoch wie angenehmes Streicheln vorkam. Glutrot hing die Sonne über dem Horizont, wurde bald lila, bald gelb oder grün und warf bizarre Schatten auf die grasenden weißen Pferde.
Er dachte an seine Kindheit und musste lächeln, konnte er doch nun genauso mit den Dingen, die ihn hier so wundersam umgaben, spielen, und sie durch eine geringfügige Willensanstrengung nach Belieben verändern. Schritt um Schritt bewegte er sich vorwärts und spürte mit jeder Faser seines Körpers, wie die Zeit verging, wie sich Sachen ereigneten, die er vergessen hatte oder nie gelernt. Er nahm sich lange Zeit, das klare Wasser des Wildbachs zu betrachten, der vor seinen Füßen dahinplätscherte. Er nahm einen tiefen Schluck und spürte alle erlesenen Weine der Welt seinen Speichel anregen, was ihn veranlasste, zum Himmel aufzuschauen, von dem diese köstliche Flüssigkeit kam.
Doch schon fiel der Blick wieder zurück auf die Sonne, die den Wasserdampf aus den Weltmeeren saugt und wieder zurück auf die Erde schüttet. Er begann, den magischen Kreislauf zu begreifen, sah riesige Ringe vor seinen Augen auftauchen, die bald zu Schlingen, bald zu Quadraten wurden, bald zerbröckelten und an anderer Stelle wieder verschmolzen und sich zu einem riesigen Wirrwarr verknoteten.

Plötzlich kamen Menschen angelaufen, Mädchen in weißen wehenden Kleidern, mit lachenden Gesichtern und anmutigem Schritt. Da kamen Männer mit Perücken aus allen Epochen auf ihn zu, Kinder und Tiere. Manche erkannte er an ihren Gesichtern, an ihren Händen oder an ihrem Lachen. Einige hatte er schon lange nicht mehr gesehen und schon fast vergessen, anderen war er noch nie begegnet und dennoch kamen sie ihm bekannt vor. Und da wurde ihm klar, dass dies die Leute waren, die er in der Zukunft treffen würde, und er versuchte, sie zu befragen, was sein werde. Doch sie sprachen nicht, tanzten nur mit ihm, immer im Kreis, ohne Berührung. Und sie wuchsen an, wurden zu Moscheen und Brücken, zu Feigenbäumen und Saharasand.
Es war eine Weltreise sondergleichen und der Kopf begann ihm von all den Eindrücken zu brummen. Da zwang er sich zur Ruhe und besann sich zu sich selbst. Er sah an sich hinab und merkte, dass er wirklich war. Alles andere waren nur Schatten und Fetzen. Nun setzte wieder die Musik ein. Mal spielte ein Orchester, mal sang ein Einzelner oder verschiedene Instrumente überlappten sich. Plötzlich begann sich die Erde schneller zu drehen und er musste sich festhalten, um nicht abzuheben. Alles verlor seine Bahn, es wurde bald Tag bald Nacht, bald kalt bald heiß. Er schwebte durchs Universum, durchquerte mehrere Dimensionen, horchte ins All und sprach mit ihm. Die Feuerwehrsirene störte erheblich. Aber das war der Wecker und er schlug die Augen auf und erkannte ein paar Sekunden sein Zimmer nicht mehr wieder.

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