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Hart und Grausam

Es waren einmal zwei Holzklötze, die hatten ein Holzklotzkind. Wie es dazu gekommen war, ist völlig unbekannt, da über das Liebesleben der Holzklötze in der einschlägigen Literatur nichts berichtet wird – außer heftigen Beschädigungen. Wahrscheinlich war ihnen das Holzklotzkind einfach zugelaufen.

Das Holzklotzkind wuchs heran und wie alle Kinder wollte es das Leben anders gestalten als seine Holzklotzeltern. Es dachte sich: Es kann doch nicht alles in der Welt so derb sein wie wir. Doch seine Eltern sagten immer: “Das Leben ist hart und grausam, da ist es besser, ein Holzklotz zu sein, denn so kann man sich besser schützen.“

Als das Holzklotzkind endlich groß war, zog es in die weite Welt hinaus, auf der Suche nach dem Weichen. Schon bald kam es an einen Fluss, der im Sonnenlicht verlockend glitzerte und funkelte. Das sieht aber schön aus, dachte es sich, und es plätschert so verführerisch, ganz anders als wenn wir Holzklötze die Treppe hinuntergehen. Als sich der Holzklotz zum Wasser beugte, verlor er das Gleichgewicht und platschte in den Fluss.

Der Holzklotzteenager dachte schon, nun sei alles verloren, aber siehe da, er schwamm an der Oberfläche, und nach dem ersten Schock ließ er sich genüsslich dahin treiben. Irgendwann wurde er an Land gespült, auf ein herrlich weiches und betörend duftendes Fleckchen Moos. Dort schlief der Holzklotz alsbald selig ein.

Am nächsten Morgen wachte er mit einem sonderbaren Gefühl auf. Irgendetwas stimmte nicht, und als er an sich herunterschaute, entdeckte er, dass er an den Rändern zu faulen begann und sich bereits kleine Splitter gelöst hatten. Das köstlich weiche Wasser und Moos hatten dem Holzklotz arg zugesetzt! Er rollte sich schnell ins Sonnenlicht und hoffte, dass der Schaden wieder verheilen würde.

Am nächsten Tag beschloss der Holzklotz, die wilde Natur zu verlassen, die ihm trotz ihrer Weichheit fast zum Verhängnis geworden wäre. Also machte er sich in die Stadt auf. Dort fühlte er sich sogleich besser: der harte Asphalt und Beton, die harten Gesichter, der grausame Lärm und Gestank, so war die Welt, so hatten es ihm seine Eltern gesagt. Doch er wollte ja das Abenteuer, welches ihm schon bald in Gestalt einer Schaumstofffabrik begegnete. Der Holzklotz schaute durch den Zaun und frage ein dickes Stück Schaumstoff, wie denn das Leben dort drinnen so sei. „Total langweilig“, entgegnete wehmütig der Schaumstoff. „Alle sind so eklig weich und biegsam, außerdem haben sie ständig Angst, nach draußen zu gehen und verletzt zu werden.“

„Das ist ja eigenartig“, meinte der Holzklotz daraufhin, „auch ich bin schon verletzt worden, aber du mit deiner schönen lila Farbe und den verführerischen Rundungen wirst das sicher nicht tun.“

Die Schmeicheleien des Holzklotzes beeindruckten den Schaumstoff nicht im Geringsten. „Ich war schon ein paar Mal draußen, habe eine Säge, ein Stück Stahl und zwei Eiszapfen kennengelernt. Jedes Mal musste ich danach operiert werden und bin im Lauf der Zeit immer kleiner geworden.“

Frustriert holperte der Holzklotz davon. Der Schaumstoff hatte ihn aber so sehr beeindruckt, dass er alle paar Tage wieder an den Zaun schlich. Wie in dem Buch „Der kleine Prinz“ rückten sie bei jedem Treffen einen Zentimeter näher aneinander heran, um sich gegenseitig zu zähmen.

Schließlich hatte der Holzklotz nach langen Wochen die Lösung gefunden. In einem Sägewerk ließ er unter großen Schmerzen einen Stuhl aus sich schreinern. In der Sitzfläche war eine Öffnung frei gelassen worden, in welche der Schaumstoff – unterstützt von einigen Federn – eingepasst wurde.

Bei der Hochzeit schüttelten Dutzende Holzklötze und kiloweise Schaumstoff verwundert die Köpfe. Man hörte die üblichen Kommentare: „Gegensätze ziehen sich an“, und „ob das nur gut geht“. Zumindest für die zwei war die Welt nun nicht mehr hart und grausam, und da Zeit relativ ist, kann es uns egal sein, wie lange ihr Glück letztendlich anhielt.

(Titel von Iris 2010)

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