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Krimskrams

Meinem Kamm sind die Zähne ausgefallen, was bedeutet, dass ich pro ausgefallenem Zahn mehr Bewegungen machen muss, um den Erfolg des Kämmens, das gepflegte Aussehen (manchmal mit einem beabsichtigten Touch von Unordnung) zu erreichen. Welch eine Vergeudung! Die Kämme sollen teurer werden, weil das Öl gerade knapp ist und die chemische Industrie dies zur Herstellung von Plastikwaren benötigt. Aber mein Kamm ist doch aus Aluminium! Stört es mich, dass viele behaupten, davon würden die Haare brechen und es sei gar nicht gesund? Dafür hat er eine viel höhere Lebensdauer! Man kann ihn hin- und herbiegen und früher in der Schule fiel er oft mit klirrendem Geräusch auf den Holzboden. Das war ein toller Effekt! Wenn mit die Haare brechen, muss ich sie dann schneiden? Aber meinen Kamm habe ich schon drei Jahre und die Haare reichen bis weit über die Schultern. Es mag hingegen sein, dass das harte Kratzen der Aluminiumzähne auf der Kopfhaut, Tag für Tag, bei mir irgendeinen Reflex des Gehirns ausgelöst hat.

Hätte ich aber diesen Kamm nicht gehabt, hätte sein Metall nicht in der Morgensonne geschimmert, hätte sie nicht auf ihrer Luftmatratze ausgestreckt gerufen: „Hey, can I use your comb?“ Kannst dich schon kämmen, Mädchen, und wenn Du willst, hauche ich Die auch einen sanften Kuss auf die Lippen, und der Tag wird herrlich für uns. Der Kuss würde nach Salzwasser schmecken und unsere Haare würden im Wind flattern und sich ineinander verflechten. Dann könnten wir uns wieder kämmen. „One, two, three“, ich werfe ihn ihr hinüber. Vielleicht hält sich eine Schuppe ihrer Kopfhaut oder ein Fettpartikelchen noch wochenlang in diesem Kamm.

Ich denke daran, wem ich diesen Kamm schon ausgeliehen habe, und muss lachen, welche Gesichter da an mir vorbeifliegen, an die ich mich unter normalen Umständen nie mehr erinnert hätte. Es gibt Leute, die leihen sich Kämme ausschließlich aus, und dann kämmen sie sich meistens noch öfter als jeder normale Mensch. Es ist wie mit denen, die keine Uhr tragen, sie fragen auch dauernd, wie spät es ist.

Das alles kommt mir in den Sinn, wenn ich meinen Kamm so betrachte, wie das Alter an ihm gezehrt hat, wie der Kampf mit den zerzausten Haaren ihn mürbe gemacht hat. Und doch ist er ein Stück, das mich drei Jahre lang auf allen Wegen begleitet hat, ein intimer Vertrauter, heimlich hervorgekramt vor Toilettenspiegeln, wenn man den Zeitpunkt für geeignet hielt, die Mähne vor irgendeiner Person in ihrer ganzen Pracht erstrahlen zu lassen. Und jetzt ist er alt, ausgelaugt und verliert die Zähne. Ich könnte jetzt von meiner neuen Zahncreme erzählen, die ich mir zugelegt habe, und auch jeden Tag, normalerweise gedankenlos, benütze. Aber die Erfahrung lehrt, dass der Leser alsbald eines Themas, das sich mit Krimskrams beschäftigt, überdrüssig wird. Doch das Leben reiht sich zum größten Teil aus solchem Krimskrams zusammen!


Anmerkung:

Diese Geschichte wurde am 8. Februar 1974 – also vor 40 Jahren – in der NWZ abgedruckt. Das Honorar betrug 29 DM. Heute sind die Haare zum größten Teil weg. Die Ölknappheit ist wohl ein immerwährendes Thema…

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