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Monduntergang

Ich wache mit geschlossenen Augen auf und denke: ich wohne doch alleine, wer hat hier also das Licht angemacht? Ich öffne mit äußerster Willensanstrengung ein Augenlid und stelle fest, dass sich der Vollmond durch die Öffnung der Jalousie geschlichen hat. In aller Pracht senkt er sich zum Horizont herab. Eigentlich sollten ein paar Wölfe heulen und der Nebel durch die Täler wabern. Obwohl es erst kurz nach fünf Uhr ist, beschließe ich, meinen Beobachtungsposten auf den Balkon zu verlegen. Da erinnere ich mich an das alte Bundeswehr-Fernglas, das mir mein Freund Reinhold kurz vor seinem Gang in die ewigen Jagdgründe geschenkt hatte. Nun kann man die großen Krater ziemlich deutlich erkennen, auch wenn der Mond mittlerweile ins kahle Geäst der riesigen Eiche vorm Haus gewandert ist. Ich widerstehe dem Verlangen nach einer ersten Zigarette, denn in der Luft liegt jetzt Ende Februar bereits ein ganz feiner Hauch von Frühling. Ein paar frühe Vögel beginnen zu zwitschern. Doch – oh Schreck – was ist das? Durch das Fernglas zeichnet sich der Schatten einer fetten Krähe ab, die es sich im Baum bequem gemacht hat, um alsbald ihr Tagwerk zu beginnen und Müllsäcke aufzupicken. Die Idylle wird durch ein feines, regelmäßiges Quietschen gestört: das ist die Zeitungsausträgerin auf ihrer morgendlichen Runde. Nun ist es Zeit, einen Tee aufzubrühen und die neuesten Nachrichten über das Virus zu lesen, das den Planeten seit einem Jahr im Griff hat. Auf dem Mond und im ganzen All gibt es – soweit bekannt – keine Atmosphäre und also keine Viren. Der Mensch hingegen hat bloß ein paar Milliarden Jahre gebraucht, um zum Krebsgeschwür am Rande des Universums zu werden. Viel Spaß noch, meine Vorstellung in diesem Theater wird in ein paar Jahren beendet sein. Erschöpft vom frühmorgendlichen Programm sinke ich aufs Wohnzimmersofa und schlafe auf der Stelle wieder ein.

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